| Ein Interview mit Rechtsanwalt Dr. iur. Christian Hof
Herr Dr. Christian Hof, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, ein paar Fragen zum aktuellen Thema zu beantworten: Es geht um einen sehr überraschenden Beschluss des Bundesarbeitsgerichts, der sich mit dem Arbeitsschutzgesetz §3 beschäftigt und besagt, dass Arbeitgeber ein System bereitstellen müssen, um die vom Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit zu erfassen.
Können Sie uns bitte kurz erläutern, wie es zu diesem Beschluss kam und was das Überraschende bei dieser Thematik ist?
Dr. Christian Hof: „Der Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 – liegt noch nicht mit Entscheidungsgründen vor, sondern nur die Pressemitteilung. Aus dieser weiß man bislang, dass das BAG aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG die Pflicht des Arbeitgebers ableitet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Der Beschluss ist insoweit überraschend, als dass diese gesetzliche Regelung seit 1996 unverändert existiert, ohne dass das BAG jemals hieraus eine solche Pflicht abgeleitet hätte.
Ich vermute, dass das BAG sich zu dieser Ableitung entschlossen hat, da der Gesetzgeber es seit nunmehr drei Jahren verabsäumt, eine Entscheidung des EuGH-zur Arbeitszeiterfassung vom 14.05.2019 (Rs. C-55/18) in deutsches Recht umzusetzen.
Gewissermaßen maßt sich das BAG mit seinem Beschluss also Kompetenzen des Gesetzgebers an. Dies wird im Schrifttum immer wieder zu Unrecht kritisiert. Für mich handelt das BAG richtig, weil der EuGH die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit aus der Grundrechtecharta und der EU-Arbeitszeitrichtlinie ableitet und mit dem Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten begründet.“
Was bedeutet das Gesetz konkret für UnternehmerInnen? Wer muss die Arbeitszeit erfassen? Und: Gibt es eine Vorgabe, wie man dieser Pflicht nachkommen muss?
Dr. Christian Hof: „Vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH wird es so sein, dass das BAG als eine den Anforderungen des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG genügende Arbeitszeiterfassung nur gelten lassen wird, die nachweislich die tatsächlich erbrachte Arbeit erfasst. Festlegungen im Vorhinein z.B. durch Wochen- oder Tagespläne etc. sind damit unzureichend. Die Erfassung kann aber durch den Arbeitnehmer erfolgen. Der Arbeitgeber ist aber verpflichtet, diese zu überprüfen. Wobei ich davon ausgehe, dass dies stichprobenartig erfolgen kann. In jedem Fall muss eine Weiterarbeit über die Erfassung hinaus verhindert werden.
Damit ist für mich klar, dass die Zeiterfassung unverzüglich zu erfolgen hat. Sie muss z.B. auch Bereitschaftszeiten erfassen. Zudem muss die Erfassung für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und z.B. Betriebsrat jederzeit zugänglich sein, da ansonsten die Überprüfung nicht funktionieren kann.
Es sind die täglichen und wöchentlichen Arbeitsstunden zu erfassen. Dies umfasst auf jeden Fall nicht nur minutengenau die absolute Arbeitszeit, sondern deren Anfang und Ende, sowie Ruhepausen. Anders als viele Juristen gehe ich davon aus, dass die Rechtsprechung zukünftig sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter gehen wird: Da der EuGH (und damit eben auch das BAG) insbesondere die praktische Durchsetzung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Vergütung von Überstunden sichern will, gehe ich davon aus, dass der konkrete Inhalt der Arbeitsleistung zu erfassen ist.“
Innerhalb welcher Zeit müssen diese Vorgaben umgesetzt werden?
Dr. Christian Hof: „Die Umsetzung hat unverzüglich zu erfolgen. Dies deshalb, weil EuGH und BAG nur die bestehende Rechtslage nach der Grundrechtecharta, EU-Arbeitszeitrichtlinie und § 3 ArbSchG festgestellt haben. Die Erfassung der Arbeitszeit war also immer schon Pflicht, wir wussten es nur leider nicht.“
Mit welchen Konsequenzen muss man bei Nicht-Beachtung der Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit rechnen?
Dr. Christian Hof: „In der gerichtlichen Praxis erlebe ich die Konsequenzen schon seit 2019: Die Arbeitsgerichte kehren bei fehlender Arbeitszeiterfassung die Beweislast bei der klageweisen Geltendmachung von Vergütung für Überstunden um. Der Arbeitnehmer muss diese nur nachvollziehbar behaupten, der Arbeitgeber dann beweisen, dass es diese nicht gab. Zuvor war die Beweislast grundsätzlich genau andersherum und damit für den Arbeitnehmer schon die Leistung der Überstunden kaum beweisbar. Wir Arbeitsrechtler gingen stets von einer Erfolgsquote von nur 25 – 30% aus, so jedenfalls die Faustformel.
Ein Bußgeld o.ä. gibt es (noch) nicht. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage. Gewerkschaften (z.B. der DGB) fordern aber bereits, dass der Bußgeldkatalog des ArbZG insoweit ergänzt und erweitert wird. Flankierend mag das sinnvoll sein, ich gehe aber davon aus, dass schon die o.g. Beweislastumkehr Wirkung zeigen wird.
Ein langfristig denkender und verantwortungsvoller Arbeitgeber wird aber auch ohne diese Konsequenzen wissen, dass es in seinem eigenen unternehmerischen Interesse ist, die Gesundheit der für ihn tätigen Arbeitnehmer dauerhaft zu erhalten. Genau dem dient die Arbeitszeiterfassung zwecks Einhaltung der Vorgaben des ArbZG.
Zudem finde ich, sollte man immer positiv denken: Die Arbeitszeiterfassung erbringt eine Fülle von Informationen, die der Arbeitgeber betriebswirtschaftlich auswerten und planend verwerten kann.“
Herr Dr. Hof, vielen Dank für diese interessanten Informationen.
Dr. Christian Hof: „Gern geschehen. Für weitere Fragen steht unsere Kanzlei Ihren Kunden übrigens gerne weiterhin zur Verfügung: Telefon: 02161 / 99 303 -56 und -65 oder E-Mail: recht@steuerwerk.com.“
Das Interview mit Dr. Christian Hof führten wir im September 2022